Deutsches Manuskript des am 22.08.2012 in «Brauwelt International» publizierten Textes (PDF des Originals)
Burgdorfer Bier: Senkrechtstart im bewegten Schweizer Biermarkt
Die Erfolgsgeschichte des Burgdorfer Biers knüpft an eine lange örtliche Brautradition an: Noch am Ende des 19. Jahrhunderts belieferten drei Brauereien weite Teile der Schweiz, Italiens und Frankreichs, was zu einem Renommee als „Klein München“ führte. Nach deren Niedergang und über 70 Jahren Durststrecke gründete eine Handvoll Enthusiasten 1997 die Burgdorfer Gasthausbrauerei AG, die sich über alle Erwartungen positiv entwickeln sollte. Grundlage dafür sind Erfolgsfaktoren wie eine breite Trägerschaft, eine glaubwürdige Brau-Philosophie und der Schwung aus dem Aufkommen der neuen Bierkultur. Letzterer hat in den letzten zehn Jahren auch in der Schweiz zur Verdreifachung der Braubetriebe geführt.
„Nach Burgdorf kommt herauf, gewiss dort findet Ihr die schönsten Mädchen und das beste Bier“ lässt Goethe einen Handwerksburschen in seinem Faust (1. Teil, Szene vor dem Tor) verkünden. Der Dichterfürst besuchte im Jahr 1779 auf einer Schweizreise die berühmten Grabmäler in der Hindelbanker Kirche. Dort hat er, so wird heute vermutet, auch das gute Burgdorfer Bier getrunken, das der damalige Brauereibesitzer Grimm dem Wirtshaus, dem Pfarrer und dem Schlossherrn von Erlach in Hindelbank geliefert hat.
Damit das Bier zu diesem Zeitpunkt schon qualitativ so gut war, dass selbst Goethe sich vor ihr verneigte, brauchte es – neben dem bekanntermassen herausragenden Brauwasser von Burgdorf – doch eine kleine Vorgeschichte: Die ersten Aufzeichnungen über eine gewerbsmässige Bierbrauerei führen, wie anderenorts auch, zu einem Bäcker, der ja für beide Handwerke teilweise die gleichen Grundstoffe benötigt. Der Pastetenbäcker und städtische Grossweibel Emanuel Grimm-Fisch liess 1751 sein baufälliges Haus neu errichten und eine Brauerei daran anbauen. Sein Nachfolger, Notar und Amtsschreiber Johann Jakob Grimm muss die damals schwierige, höchst „zufällige“ Angelegenheit des Brauens beträchtlich weiterentwickelt haben. Heute noch erhaltene Versandlisten beweisen nämlich, dass er sein Bier von 1794 bis 1797 an Wirtshäuser und Privatpersonen weit über die Nachbarschaft hinaus bis in den Kanton Solothurn verkauft hat. Grimms Erfolg war auch darauf zurückzuführen, dass er lange die einzige grössere Brauerei östlich von Bern geführt hat, bevor erst im Jahr 1785 – nach Goethes Durchreise – eine Bierbrauerei in Langenthal errichtet werden durfte. Nach über einem Jahrhundert erfolgreicher Bierproduktion und Expansion sowie verschiedenen Besitzer- und Führungswechseln zog der jetzt als „Bierbrauerei Christen“ firmierende Betrieb 1902 von der engen Oberstadt in einen Neubau auf ein Gelände, auf dem schon Felsenkeller bestanden. Nach den Rohstoff- und Finanzproblemen, die der 1. Weltkrieg ausgelöst hat, musste der letzte Geschäftsführer aber aufgeben. Die Brauerei Feldschlösschen in Rheinfelden übernahm die Räumlichkeiten und benutzte sie jahrelang als Bierdepot.
Paris liebt Lochbach-Bier
Die zweite Brauerei, diejenige im Lochbach, entstand nach der Abschaffung des Zunftzwangs, als die Gründung von neuen Betrieben leichter fiel: Im Herbst 1800 erhielten die Burgdorfer Negotianten Friedrich Heggi und Jakob Rudolf Schnell die Bewilligung, in Burgdorf eine zweite Biersiederei zu errichten. Sie florierte allerdings nicht auf Anhieb, war zeitweise sogar stillgelegt, und hatte eine stattliche Anzahl Besitzerwechsel. Als der Chemiker Ferdinand Schnell-Soutter in den 1860er Jahren ein prächtiges neues Brauereigebäude mit einem für die neue Technik nötigen Dampfkesselhaus mit Hochkamin errichten liess, brachen aber bessere Zeiten an. Lochbach-Bier wurde in alle Weltgegenden exportiert, in Paris besonders geschätzt und genoss einen ausgezeichneten Ruf. Auf dem Gelände stand gutes Brauwasser zur Verfügung, und an der sorgfältigen Herstellung waren auch naturwissenschaftlich ausgebildete Familienmitglieder beteiligt. Aber auch die Brauerei im Lochbach wurde kurz nach dem 1. Weltkrieg stillgelegt, 1944 wurde das Brauereigebäude abgebrochen.
Es bleibt die tiefe Verbindung zum Bier
Die dritte Brauerei Burgdorfs, die 1871 eröffnete Brauerei Steinhof, war von Anfang an ein Grossbetrieb, der mit den neusten technischen Errungenschaften ausgerüstet und auf den Export ausgerichtet war. Die ursprünglich für zirka 10’000 Hektoliter bereitgestellte Infrastruktur erfuhr schnell eine bedeutende Vergrösserung, um ihre Leistungsfähigkeit bis auf 40’000 Hektoliter und darüber zu erhöhen. Das renommierte „Steinhofbier“ wurde in allen Gegenden der Schweiz, zum Teil auch in Frankreich und Italien abgesetzt, wozu die Brauerei an verschiedenen Orten in der Schweiz und im Ausland eigene Depots unterhielt. 1876 betrug der Wert des Brauereietablissements CHF 1,1 Millionen. Nach finanziellen Eskapaden der Besitzerfamilie gelangte die Brauerei 1898 in Besitz der Basler Löwenbräu, die sie in „Löwenbräu Burgdorf-Steinhof“ umtaufte. 1921 musste aber auch sie aufgeben, die Brauerei wurde liquidiert, die Kundschaft sowie einiges Personal an Feldschlösschen abgetreten. Damit endete das letzte Kapitel der alten Burgdorfer Biergeschichte. Was geblieben ist, ist eine internationale Reputation als „Klein München“, wie Burgdorf Ende des 19. Jahrhunderts auch etwa genannt wurde, und eine tiefe Verbindung zwischen der Stadt und der Bevölkerung von Burgdorf mit dem Bier.
Aktienkapital in drei Monaten beschafft
Diese tiefe Verbundenheit mit einem vor Ort gebrauten Bier war es denn auch, die nach über 70-jähriger Durststrecke den Ruf nach einer eigenen Brauerei wieder laut werden liess: 1997 machte sich eine Handvoll visionärer Bier-Enthusiasten daran, die Burgdorfer Gasthausbrauerei AG ins Leben zu rufen, die im Unterbaurecht im historischen Restaurant Schützenhaus einziehen sollte. Das dafür benötigte Aktienkapital in der Höhe von CHF 500’000 schoss ihnen der ortsansässige Industrielle Willy Michel vor, bevor sie es nach drei Monaten (und ohne einen Franken in die Werbung investiert zu haben) zurückbezahlen konnten: Die Mitglieder der im Schützenhaus beheimateten Vereine im Speziellen, die Burgdorfer Bevölkerung im Allgemeinen zeichnete mit Begeisterung Aktien à CHF 250. Noch heute ist einer der zentralen Erfolgsfaktoren des Burgdorfer Biers seine breite Abstützung und tiefe Verankerung in der Bevölkerung. Ausdruck davon ist auch, dass die Gesellschaft in Besitz von fast ausschliesslich Kleinaktionären mit Leidenschaft für heimische Bierspezialitäten ist, die allesamt eine oder allenfalls einige wenige Aktien besitzen: Heute verfügen 5’200 Personen über 8’000 Aktien, was bedeutet, dass im Schnitt jedem dritten Burgdorfer Bürger ein Stück Brauerei gehört. Noch heute ist die Generalversammlung der Aktionäre ein Ereignis, das die Sympathie und die Verbundenheit von Burgdorf mit seinem Bier wohl am schönsten zum Ausdruck bringt.
In Burgdorf hat Bier Heimat
Neben dieser „Volksaktie“ und der breiten Basis von begeisterten und engagierten Bierfreunden waren es durchwegs bodenständige emmentalerische Eigenschaften und die Verinnerlichung des Leitmottos „Bier braucht Heimat“, welche die Grundlagen für eine über den Erwartungen liegende Erfolgsgeschichte lieferten. Seit ihrer Gründung will die Burgdorfer Gasthausbrauerei gemäss ihrem Leitbild nämlich unverändert „ein regional verankertes, eigenes und eigenständiges Bier von hoher Qualität und unverwechselbarem Charakter“ anbieten. Heute, 13 Jahre nach ihrer Gründung, hat die Burgdorfer Gasthausbrauerei einen Jahresausstoss von 5’000 hl. Um das rasante Wachstum bei gleichbleibend hoher Qualität bewältigen zu können, hat sie laufend in ihre Infrastruktur investiert: Sie installierte eine Füllerei (um mit dem Flaschenhandel einen grossen Aufschwung zu erleben) und erweiterte laufend ihre Lagerkapazitäten. Im Jahr 2011 hat die Burgdorfer Gasthausbrauerei über die Hälfte des produzierten Biers in Halbliter-Flaschen abgefüllt.
Auf zu neuen Ufern
Mit enormen Zuwachsraten in der Höhe von jährlich etwa 20% ist die ursprünglich auf 1’500hl konzipierte Brauereianlage an ihrem bisherigen Standort, dem Schützenhaus, längst an ihre Grenzen gestossen. Der Umzug in das symbolhafte und denkmalgeschützte Burgdorfer Kornhaus soll im Herbst 2012 weitere grosse Möglichkeiten erschliessen. In Zusammenarbeit mit der Stadt Burgdorf entsteht hier eine neue Brauerei, deren jährliche Kapazität im ersten Ausbauschritt 8’000hl betragen wird. Das Besondere daran ist, dass zwar ein neues, vollautomatisches 30hl-Sudwerk der Firma Caspary zum Einsatz kommt, die Firma Heinrich Leicht allerdings die bestehende Füllerei und die Lagertanks komplett an den neuen Standort verlegt. Bei einem denkmalgeschützten Gebäude stellt das sowohl Architekten, Fachplaner, Anlagenbauer als auch den Braumeister fraglos vor eine spannende Aufgabe.
Im Angebot steht Abwechslung
Nach Inbetriebnahme der neuen Braustätte ist es auch ein Ziel, den Braubetrieb am „alten“ Standort weiterhin aufrechtzuerhalten, damit der Bierliebhaber im Schützenhaus auch weiterhin „live“ beim Bierbrauen dabei sein und den Duft der Bierwürze geniessen kann. So können die Burgdorfer Brauer in Zukunft in der neuen Brauerei die Klassiker wie Helles, Aemme und Weizen produzieren, derweil sie an der bisherigen Braustätte Spezialbiere brauen können. Den Anlagenpool ergänzt eine 50-Liter-Versuchsbrauerei, in der zusätzlich Versuchsbiere, aber auch Kleinmengen von „speziellen“ Spezialbieren gebraut werden können.
Die genannten Klassiker sind das Herz der Produktpalette der Burgdorfer Gasthausbrauerei. Zwei Biere sind ganzjährig verfügbar: Das goldene, vollmundige und mild gehopfte Helle und das malzaromatische dunkles Aemme mit seiner feinen Caramel- und Röstmalznote. Die saisonale Bierspezialität in den Sommermonaten ist ein erfrischend fruchtiges Weizenbier, das im Winter von einem immer wieder neu kreierten Spezialbier abgelöst wird. Alle Biere sind nicht filtriert, nicht stabilisiert und nicht pasteurisiert und gebraut nach dem Reinheitsgebot von 1516. Ein hauseigener Whisky, der fünf und zehn Jahre lang in Eichenfässern reift, rundet das Gesamtangebot der Brauerei ab.
Bierkultur bietet fruchtbaren Boden
Mit den saisonalen Bierspezialitäten und dem immer neuen Winterbier will die Burgdorfer Gasthausbrauerei ihren Kunden und den Konsumenten ganz bewusst stets neue und abwechslungsreiche Geschmackserlebnisse vermitteln. Damit hat sie als ein letzter Erfolgsfaktor exakt den Nerv der Zeit getroffen: Wie andernorts auch, hat sich in der Schweiz im Verlauf der 80er Jahre eine neue Bierkultur zu entwickeln begonnen, die den Zeiten des Einheitsbiers ein Ende setzen will. Diese Entwicklung und das Ende von lokalen Bierinstitutionen aufgrund des Vormarschs der ausländischen Riesen hat neue Anbieter auf den Plan gerufen: Als in Zürich die traditionsreiche Brauerei Hürlimann verschwunden ist, stiess die Brauerei Turbinen-Bräu in die offene Lücke. Das Ende der allseits geschätzten Brauerei Eichhof in Luzern ermöglichte erst das Entstehen der Luzerner Bier AG. In der Stadt Freiburg, aus der ein internationaler Konzern unlängst die Produktion des Wahrzeichens Cardinal Bier ausgelagert hat, bahnt sich eine ähnliche Initiative an. Alle folgten und folgen sie dem gleichen Muster wie die Burgdorfer Gasthausbrauerei.
Sind es vor zehn Jahren noch 98 Betriebe gewesen, die in der Schweiz den beliebten Gerstensaft hergestellt haben, sind es heute derer 300 und mehr. Oft handelt es sich um kleine oder Gasthausbrauereien, deren Marktanteil bescheidene 2% beträgt. Das in einem Biermarkt, in dem ca. 70% des jährlichen Konsums von etwa 4,5 Mio. hl (das sind 57 Liter pro Kopf) von den zwei nicht-schweizerischen Konzernbetrieben Carlsberg/Feldschlösschen und Heineken produziert werden. Genau darum aber sind die Marktbedingungen und die Erfolgsaussichten für die 2% Klein- oder Gasthausbrauereien so gut: Sie sind es, die den Biermarkt in Bewegung halten und durch qualitativ hochwertige und einzigartige Produkte überzeugen und die Bierkultur hochhalten. Wie eben auch die Burgdorfer Gasthausbrauerei.
Stefan Herrmann, Oliver Honsel
Quelle:
Burgdorfer Biergeschichten 1750 bis 1920, Trudi Aeschlimann, aus: Burgdorfer Jahrbuch 2000